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Kyudo

Die spirituelle Schönheit offenbart sich in der Darstellung der äusserlichen Formen. Diese ästhetische Sinngebung ist das Wesentliche des Kyudo; es brachte dem japanischen Bogen seine einmalige Schönheit. Diese Einstellung findet man in der Disziplin des Bogenschiessens anderer Kulturen nicht, deren Absicht es ist, das Ziel zu treffen. Dieses Vorgehen ist auch das Fundament der moralischen Werte, welche im Kyudo einen Weg (Do) der Disziplin gefunden haben, wo die ästhetischen, moralischen und ethischen Werte den Vorrang über die praktische Seite nehmen.

Das höchste Ziel des Kyudo

Die Konzepte von Shin, Zen, Bi – Wahrheit, Güte und Schönheit – gelten als absolute Werte für die Übenden. Im Kyudo stellt die Wahrheit eine Realität vor dem Schiessen dar. Die Wahrheit lässt sich nicht täuschen. Die Güte wird als moralischer Wert wahrgenommen. Die Schönheit ist das höchste Ziel aller Künste. Es ist dies eine Form der Wahrheit, welche über die Güte zum Ausdruck kommt.

Shin | Wahrheit

Alle philosophischen Disziplinen suchen nach einer Erklärung, oder zumindest einer Eingabe vom Wesen der Wahrheit. Im Kyudo ist die Wahrheit die grundlegende Tatsache des Schusses. Der Pfeil fliegt geradeaus zum Ziel. Das ist die Wahrheit. Doch es besteht ein ewiges Paradoxon: Wahrheit kann nicht verstanden, nicht bestimmt werden. Deshalb ist es wesentlich, dass der Schütze seine innere Beziehung zum Schuss überprüft, denn er ist es, welcher die Wahrheit entstellt und Abstand von ihr nimmt.

Zen | Güte

Im Kyudo stellt die Güte einen moralischen Wert dar. Durch die Disziplin der Etikette erlangt man eine Selbstbeherrschung welche Konflikte vermeidet. Dieser Zustand der Würde und aufgeschlossener Anteilnahme stellt den « redlichen Menschen » dar.

Bi | Schönheit

Was schön ist, beglückt die Sinne. Schönheit zu erreichen ist das oberste Ziel aller Künste. Schönheit zu erreichen ist das oberste Ziel aller Künste. Im Kyudo stellt der Bogen die ästhetische und geistige Schönheit dar, welche sich im zeremoniellen Schiessen (sharei) ausdrückt, dessen Feierlichkeit sich mit der Harmonie der Bewegungen vereint, und mit dem Geist der gleichzeitig bestrebt ist, das Gefühl für Schönheit zu erwecken.

Maxime

Shaho Kun

Der Weg führt nicht über den Bogen, sondern über die Knochen, dies ist für das Schiessen von grösster Wichtigkeit.

Man halte den Geist/das Herz (Kokoro) im Zentrum des gesamten Körpers gesammelt, stosse die Sehne zu zwei Dritteln des linken Armes (Yunde) und mit einem Drittel ziehe den Bogen mit dem rechten Arm (Mete). Der so beruhigte Geist (Kokoro) führt zur harmonischen Einheit und richtigen Balance beim Schiessen.

Das Freigeben des Pfeiles (Hanare) geschehe von der Brustmitte zu gleichen Teilen nach links und nach rechts.

Es steht geschrieben, dass das aufeinander Treffen von Eisen und Stein jähe Funken freisetzt; und durch das Freigeben auf diese Art entsteht der goldene Körper, glänzend weiss, und der Halbmond im Westen.

Grundsätze des Schiessen von Meister Junsei Yoshimi

Shahokun-Text mit Romanisierung und Übersetzung

Raiki Shagi

Das Schiessen mit den Bewegungsformen des Vor- oder Zurückgehens kann nie ohne Höflichkeit (Rücksichtnahme) und Anstand (Korrektheit) sein (Rei).

Nach dem Erreichen der rechten inneren Einstellung und der Korrektheit im äusseren Auftreten können Bogen und Pfeil entschlossen eingesetzt werden.

Auf diese Weise zu schiessen, heisst das Schiessen mit Erfolg auszuüben, und Tugend wird durch diese Art des Schiessens offensichtlich. Kyudo ist der Weg der vollkommenen Tugend. Im Schiessen muss man Aufrichtigkeit in sich selbst suchen. Mit der Aufrichtigkeit des Selbst kann das Schiessen verwirklicht werden.

In Zeiten in denen das Schiessen misslingt, sollte kein Groll gegenüber jenen, die erfolgreich sind, herrschen. Im Gegenteil, dies ist eine Gelegenheit zur Selbstfindung.

Kodex zur Etiquette – Wahrheit des Schiessens

Raiki shagi-Text mit Romanisierung und Übersetzung

Prinzipien

Rinen

Der vormalige Präsident des japanischen Kyudo-Verbandes, Meister Uno Yōzaburo, hat folgende Punkte als Hauptprinzipien definiert:

  • die Prinzipien des Schiessens (Shahō) und die Kunst des Schiessens (Shagi) zu studieren;
  • die formalisierten Bewegungsformen (Taihai) auf der Etikette (Rei) basierend anzuwenden;
  • das Niveau des Schiessens (Shakaku) und die Würde beim Schiessen (Shahin) zu verbessern;
  • die Notwendigkeit nach Vollendung als menschliches Wesen zu streben.

Indem die formalisierte Bewegungsform, die Prinzipien des Schiessens und die Kunst des Schiessens in ein vereintes Ganzes zusammengeführt werden, entsteht Schiessen mit Würde und Verfeinerung.

Unser Ziel beim Kyudo ist nicht das Treffen der Scheibe. Im Gegenteil, das Ziel des Schiessens ist der Ausdruck von harmonischer Schönheit. Der Schlüssel zum Kyudo ist sowohl Aufrichtigkeit wie Höflichkeit. Es ist von grösserem Wert aufrichtig zu sein als gegen andere zu gewinnen. Im Üben ist es sehr wichtig, dies im Gedächtnis zu behalten, davon überzeugt sein und Mut zu haben, es in der Praxis anzuwenden.

Kyudo, eine Kampfkunst

Kyudo zählt zu den ältesten der traditionellen japanischen Budo-Künste. Zusammen mit der Schwertkunst gehörte Kyudo zur Grundausbildung der Samurai. Der Aufstieg der Kriegerkaste und ihre massgebende regierende Schicht machten Kyudo zu einer der wichtigsten Disziplinen der von den Samurai praktizierten Kriegskünsten. Ursprünglich war also der japanische Bogen eine Jagd- und Kriegswaffe, doch bereits im 8. Jahrhundert in der Nara-Zeit wurde Kyudo – der Weg des Bogens – bei zeremoniellen Anlässen ausgeübt. Unter dem Einfluss des aufkommenden Konfuzianismus übernahm ein System moralischer Werte (Do) die Vorherrschaft über die Verwendung des Bogens und die damit verbundene Schiesstechnik.

Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen und den umfassenden Änderungen in der japanischen Gesellschaft anfangs des 19. Jahrhunderts, verlor das Bogenschiessen endgültig seine kriegerische Bedeutung und wandelte sich in eine Disziplin, welche Körper und Geist förderte. Wenn das Schiessen im Rahmen des Do geübt wird, so müssen alle Haltungen und alle Bewegungen gemäss genau vorgegebenen Vorschriften ausgeführt werden. Das Kyudo war von je von einer besonderen ästhetischen Bedeutung durchdrungen, welche man paradoxerweise auch in den Schwertern, den Rüstungen und sogar den Bogen beobachten kann. Der Höhepunkt dieses Strebens nach Harmonie: die ästhetische Verbindung zwischen dem Bild des Körpers des Schützen und dem Bogen selbst, welche zu einer perfekten Gesamtheit verschmelzen.

Wie jede wohlverstandene Kampfkunst, reicht das Kyudo über den blossen Sport hinaus. In der Tat, sobald die Basisbewegungen gelernt sind, beginnt die lange persönliche Suche nach innerer Harmonie und zusammen mit den anderen. Dazu kommt nun das Streben nach Ästhetik, der Beherrschung des Gedanklichen und das sich selbst Übertreffen.

Obwohl das Kyudo seinen Ursprung im «Weg des Kriegers» (Bushido) findet, welcher die Würde des Krieges und des Kampfes rühmte, wurde es in modernen Zeiten der Weg des wirklich « redlichen Menschen », der Weg, der zur Freundlichkeit führt. Wenn ein Schütze schiesst, so spiegelt seine Gestik so getreu wie möglich das wieder, was er tatsächlich ist. Eine korrekte Lösung des Schusses erscheint, wenn der Bogenschütze das Gleichgewicht in der Wahrheit findet.

Technik

Die Schiesstechnik sowie die aufeinander aufbauenden Haltungen und Bewegungen des Kyudo sind bis ins Detail vorgeschrieben und bilden den Grundstock für einen harmonischen Übungsablauf.

Die Elemente der Körperhaltung und Bewegungsabläufe (kihontai) teilen sich in Grundhaltungen (kihon no shisei) und Grundbewegungen (kihon no dosa). Die Bewegungen können in stehender oder knieender Form ausgeführt werden.

Stehen, gehen, sitzen, drehen, aufstehen und absitzen sind einheitlich geregelt, um einen harmonischen Ablauf und das Zusammenspiel in der Gruppe zu ermöglichen.

Hassetsu

Hassetsu, die acht Stufen des Schiessens, stellen einen vollen, nicht unterbrochenen Zyklus dar. Man kann einen Schuss mit einem Bambuszweig vergleichen, der acht Knoten aufweist. Einerseits kann man die acht verschiedenen Knoten als individuelle Gebilde wahrnehmen, andererseits aber sind diese Knoten durch den Zweig miteinander verbunden und formen somit ein Ganzes – sie gehören zu einem einzigen Zweig.

Kyugu | Das kyudo-Material

Die Kyudo-Ausrüstung und Kleidung sollen einerseits die sportlichen Aspekte des Bogenschiessens erfüllen, andererseits sind sie Teil einer spezifischen Kultur, welche der Selbstkultivation durch Respekt, Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zur persönlichen Entwicklung dienen. Um mit Kyudo zu beginnen und sich einer Gruppe anzuschliessen, bedarf es keinerlei Vorkenntnisse. Die meisten Dojo führen auch Übungsmaterial, welches AnfängerInnen zu Beginn zur Verfügung gestellt wird. Die Dojo-Verantwortlichen helfen gerne beratend bei der Anschaffung von geeignetem Material.

Yumi | Der japanische Bogen

Der japanische Bogen ist ein einfacher, asymmetrischer Bogen ohne Visiereinrichtung oder Pfeilauflage. Der Griff teilt den Bogen in einen längeren oberen und einen kürzeren unteren Teil. Diese ungleiche Teilung gibt dem Bogen vor allem im vollen Auszug (Kai) eine besonders elegante Form. Die Asymmetrie entspricht auch einem klassischen Prinzip der japanischen Ästhetik.

Der traditionelle Kyudobogen ist aus mehreren Schichten Bambus und Holz verleimt. Die Länge des Bogens richtet sich nach der Auszugslänge (Yazuka), welche etwa der halben Körpergrösse entspricht. Je grösser die Auszugs- und Pfeillänge, um so länger der Bogen. Man unterscheidet zwischen der Standardlänge Namisun, Nisun-nobi, Yonsun-nobi, Rokusun-nobi und Hassun-nobi.

Kyudobogen gibt es in verschiedenen Ausführungen und Qualitäten, von Fiberglass- und Karbonbogen bis hinzu Bambusbogen, welche je nach Fertigkeit und Erfahrung verwendet werden sollen.

Fuku | Die Kleidung

Die Kleidung soll neben der Funktionalität ebenfalls dem Anlass entsprechend ausgewählt werden. Ob dies nun ein einfaches Übungshemd (Kyudogi) oder ein festlicher Kimono für eine Erüffnungszeremonie sei.